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25 January 2024
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EuGH 25.01.2024, C-810/21 Caixabank ua | Schoenherr Financial Services Litigation News

EuGH 25.01.2024, C-810/21 Caixabank ua: Beginn einer zehnjährigen Verjährungsfrist für einen Anspruch auf Rückforderung geleisteter Zahlungen aufgrund missbräuchlicher Klauseln erst ab Kenntnis des Anspruchs.

1. Vorgeschichte

Nach der bisherigen Rechtsprechung des EuGH zu Beginn und Lauf der Verjährungsfrist für Ansprüche von Verbrauchern auf Rückforderung von Zahlungen, die sie aufgrund missbräuchlicher Klauseln geleistet haben, waren folgende objektive Verjährungsfristen zu kurz:

  • Drei Jahre ab Zahlung (EuGH C-485/19, Profi Credit Slovakia)
     
  • Drei Jahre ab vollständiger Erfüllung des Kreditvertrags, wenn lediglich vermutet wird, dass der Verbraucher zu diesem Zeitpunkt von der Missbräuchlichkeit der in Rede stehenden Klausel Kenntnis haben müsste (EuGH C-698/18, C-699/18 Raiffeisen)
     
  • Fünf Jahre ab Vertragsabschluss (EuGH C-224/19 ua,
    Caixabank; EuGH C-776/19 ua, BNP Paribas Personal Finance)
     
  • Zehn Jahre ab Zahlung der jeweiligen Kreditrate (EuGH C-80/21 D.B.P. und C-81/21, C-82/21).

Klar war daher schon bislang, dass derartige kenntnisunabhängige Fristen zu kurz waren. Nicht klar war hingegen, welchen Grad der Kenntnis der Verbraucher haben musste und ob die fehlende Kenntnis nur den Ablauf der Verjährungsfrist hinderte oder auch schon deren Beginn.

Zu beiden Themen bringt die EuGH-Entscheidung vom 25.01.2024 weitere Klarheit.

2. Die nunmehrigen Vorlagefragen

Der Sachverhalt der verbundenen Rechtssachen C-810/21 Caixabank, C-811/21 Banco Bil-bao Vizcaya Argentaria, C-812/21 Banco Santander und C-813/21 Banco Sabadell umfasste jeweils Ansprüche von Verbrauchern auf Rückzahlung von Kosten des Vertragsabschlusses von Kreditverträgen, die auf missbräuchlichen Klauseln beruhten. Die Verbraucher erhoben diese Ansprüche jeweils mehr als zehn Jahre, nachdem sie die Kosten bezahlt hatten.

Nach dem katalanischen Zivilgesetzbuch galt eine Verjährungsfrist von zehn Jahren ab Entstehen und Fälligkeit des Anspruchs wenn der Anspruchsinhaber die Umstände, auf denen er beruht, und die Person, gegen die er geltend gemacht werden kann, kennt oder vernünftigerweise kennen kann. 
Die Vorlagefragen an den EuGH zielten, in der Reihenfolge der Beantwortung zusammengefasst, darauf ab, 

  • ob der Lauf dieser Verjährungsfrist mit Kenntnis des Verbrauchers vom Sachverhalt, der zur Missbräuchlichkeit der Klausel führt, beginnen darf oder erst dann, wenn der Verbraucher auch über Informationen über die rechtliche Würdigung des Sachverhalts verfügt; und 
     
  • ob dann, wenn Kenntnis von der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts erforderlich ist, das Vorliegen einer gefestigten Rechtsprechung zur Nichtigkeit ähnlicher Klausen eine solche Kenntnis begründet.

3. Die Antwort des EuGH

Der EuGH beantwortete die Vorlagefragen wie folgt: 

  • Ein Beginn einer zehnjährigen Verjährungsfrist, ohne dass der konkrete Verbraucher von der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts Kenntnis hat, widerspricht Art 6(1) und 7(1) der Klausel-RL 93/13/EWG im Lichte des Effektivitätsgrundsatzes. Aus Rn 49 f der Begründung ergibt sich, dass der EuGH damit meint: Der Verbraucher muss seine Rechte aus der Klausel-RL kennen. Das wiederum kann wohl nur so verstanden werden: Die zehnjährige Verjährungsfrist beginnt erst dann zu laufen, wenn der Verbraucher seinen Anspruch kennt.
     
  • Das Bestehen einer gefestigten nationalen Rechtsprechung zur Nichtigkeit derartiger Klauseln kann nicht als Nachweis dafür angesehen werden, dass der konkrete Verbraucher von der rechtlichen Würdigung des Sachverhalts Kenntnis hat.

4. Bewertung für Österreich

Die österreichische Lehre hat aus der bisherigen EuGH-Rechtsprechung überwiegend abgeleitet, dass für Rückforderungsansprüche, die aus der Missbräuchlichkeit einer Klausel resultieren, die 30-jährige objektive Regelverjährung der §§ 1478 f ABGB gilt, dass eine (analoge) Anwendung von §§ 1480, 1486 ABGB richtlinienwidrig wäre und dass OGH RS0117773, wonach der Anspruch des Kreditschuldners auf Rückzahlung zu viel gezahlter Zinsen wegen missbräuchlicher Klauseln objektiv nach drei Jahren verjährt, daher überholt ist. [1]

Diese Ansichten sind in zweierlei Hinsicht fraglich: Einerseits bezieht sich die EuGH-Entscheidung nur auf eine zehnjährige Verjährungsfrist. Es kann aber nicht ausgeschlossen werden, dass der EuGH dieselben Grundsätze zum Fristbeginn auch auf eine 30-jährige Verjährungsfrist anwenden würde. Andererseits eröffnet die EuGH-Entscheidung für Bereicherungsansprüche, die nach österreichischem Recht der kurzen dreijährigen Verjährungsfrist unterliegen, die Möglichkeit einer richtlinienkonformen Interpretation von § 1480 ABGB[2] dahingehend, dass die dreijährige Frist erst, aber immerhin, mit der Kenntnis des Verbrauchers von seinem Anspruch zu laufen beginnt. Diese Lösung wäre nach österreichischem Recht sachgerecht.

Offen bleibt allerdings nach wie vor, von wem und wodurch ein Verbraucher eine solche, den Lauf der Verjährungsfrist auslösende Kenntnis von seinem Anspruch erlangen und wie ein Unternehmer diesen Zeitpunkt je beweisen kann. Hier bleibt weitere Rechtsprechung abzuwarten.

 

[1] P. BydlinskiVbR 2020, 200 ff; Leupold/GelbmannVbR 2020, 222; vgl auch T. Rabl, ecolex 2021/68 und Eliskases, ZFR 2020, 559.

[2] Zur analogen Anwendung Zoppel, ZFR 2021, 283 mwN; vgl OGH 4 Ob 73/03v ErwGr 1. OGH 8 Ob 145/19k.