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04 March 2021
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austria

Baukartell bringt Auftraggeber ins Dilemma

Die wettbewerbsrechtlichen Ermittlungen gegen rund 40 Baufirmen könnten dazu führen, dass große Anbieter für zukünftige öffentliche Aufträge ausfallen

Im November 2020 hat die Bundeswettbewerbsbehörde beim Kartellgericht die erste Geldbuße gegen einen österreichischen Baukonzern beantragt. Hintergrund ist der Verdacht, dass Mitarbeiter von mehr als 40 Baufirmen zwischen 2002 und 2017 Bauprojekte untereinander zugeteilt haben. Zu den potenziell Geschädigten zählen vor allem öffentliche Auftraggeber im Straßenbau, im Leitungsbau und bei Erdarbeiten.

Das schwebende Ermittlungsverfahren der Wirtschafts- und Korruptionsstaatsanwaltschaft (WKStA) und der Bundeswettbewerbsbehörde (BWB) gegen so viele Baufirmen bringt die Auftraggeber in ein Dilemma. Auf der einen Seite sind die Verärgerung, von wichtigen Geschäftspartnern möglicherweise über Jahre hinweg gezielt getäuscht worden zu sein, und der Wunsch nach Wiedergutmachung groß.

Nach der Business-Judgement-Rule wird der Vorstand eines potenziell Geschädigten nur dann auf Schadenersatzforderungen verzichten dürfen, wenn es überwiegende Gründe gibt, dass derartige Ansprüche unbegründet wären oder sie den Zeit- und Kostenaufwand der Geltendmachung unangemessen hoch erscheinen lassen. Aufgrund der Erleichterungen, welche die Kartellgesetznovellen der Jahre 2013 und 2017 für Schadenersatzkläger gebracht haben, wird das die Ausnahme sein.

Auf der anderen Seite sehen sich die Auftraggeber nahezu gezwungen, die Geschäftsbeziehungen mit den beschuldigten Baufirmen fortzusetzen. Die Zahl der betroffenen Unternehmen ist derart groß, dass es schwierig werden könnte, Bauausführende zu finden, die nicht in das Verfahren verstrickt sind.

Ansprüche beziffern

Was Schadenersatzforderungen betrifft, können sich die Auftraggeber derzeit noch relativ passiv verhalten. Besteht der Verdacht, konkret betroffen zu sein, dürfte es genügen, sich dem Strafverfahren als Privatbeteiligter anzuschließen und die Entwicklung in den kartellgerichtlichen Verfahren zu beobachten.

Unmittelbar nach den ersten Verurteilungen wäre der Zeitpunkt gekommen, die Ansprüche zu beziffern. Spätestens dann wird eine Zusammenarbeit der potenziell Geschädigten sinnvoll sein. Die Bemessung von Kartellschäden ist nicht trivial. Ein "Datenpooling" und die gemeinsame Beauftragung eines ökonomischen Sachverständigen bringen dabei erfahrungsgemäß erhebliche Synergien mit sich.

Vorerst steht bei den meisten Auftraggebern die vergaberechtliche Seite des Baukartells im Vordergrund. Öffentliche Auftraggeber sind verpflichtet, die Zuverlässigkeit ihrer Geschäftspartner zu prüfen. Daran mangelt es, wenn der Bieter mit anderen Unternehmen Abreden getroffen hat, die auf eine Verzerrung des Wettbewerbs abzielen.

Prognoseentscheidung

Ob diese Absprachen gegen den konkreten Auftraggeber oder "nur" gegen andere Kunden gerichtet waren, ist irrelevant. Öffentliche Auftraggeber müssen Bieter, die sich an wettbewerbsverzerrenden Absprachen beteiligt haben, von der Teilnahme am Vergabeverfahren ausschließen. Das ist zwingend, ein Ermessen gibt es nicht. Erfolgt die Zuschlagsentscheidung zugunsten eines unzuverlässigen Unternehmens, kann diese Entscheidung von Mitbewerbern bekämpft werden.

Allerdings darf der öffentliche Auftraggeber nicht abwarten, bis es zu einer Verurteilung gekommen ist. Schon "hinreichend plausible Anhaltspunkte" auf einen Verstoß führen zur Unzuverlässigkeit. Der Auftraggeber muss hier eine Prognoseentscheidung treffen.

Maßgeblicher Orientierungspunkt dafür sind neben eigenen Wahrnehmungen vor allem die Ermittlungsergebnisse der zuständigen Verfolgungsbehörden. Liegt nach deren Einschätzung ein Verstoß vor, kann auch der öffentliche Auftraggeber davon ausgehen.

Für die Praxis bedeutet das: Öffentliche Auftraggeber sollten von den Bietern im Rahmen einer Ausschreibung grundsätzlich die Vorlage einer Verbandsregisterauskunft (§ 89m Abs 1 GOG) verlangen. Ergibt sich daraus, dass die Firma von der WKStA als Beschuldigte geführt wird, sollte zudem die Vorlage der Protokolle über die Beschuldigtenvernehmung, der polizeilichen Abschlussberichte (vgl. § 100 StPO) und der Mitteilungen der Beschwerdepunkte der BWB (vgl. § 13 WettbG) eingefordert werden. Verweigert der Bieter diese Auskünfte, riskiert er das Ausscheiden aus dem Vergabeverfahren.

Selbstreinigung gefordert

Vermutlich wird es früher oder später zu einer geständigen Verantwortung mancher Firmen gegenüber der WKStA und zu Anerkenntnissen im Verfahren vor dem Kartellgericht kommen. Letzteres hat für die Baufirmen den Vorteil, dass die Geldbuße um einen "Settlement-Abschlag" vermindert wird.

Spätestens dann wird der Fokus der Bewältigung des Baukartells für Auftraggeber und Auftragnehmer bei der Selbstreinigung im Sinne des Bundesvergabegesetzes liegen. Um trotz der Beteiligung an wettbewerbsverzerrenden Absprachen seine Zuverlässigkeit glaubhaft zu machen, muss ein Unternehmen umfassend mit den Ermittlungsbehörden zusammengearbeitet haben, es muss konkrete organisatorische, technische und personelle Maßnahmen gesetzt haben, die eine Wiederholung der Verstöße verhindern, und es muss einen Ausgleich für den verursachten Schaden leisten.

Eingeschränkte Zusage

Absehbar ist, dass es sich vor allem beim Schadensausgleich spießen wird. Soweit ersichtlich, beschränken sich die Baufirmen momentan gern auf die Zusage, dass dem Auftraggeber ein rechtskräftig festgestellter Schaden ersetzt wird. Das ist nach der Rechtsprechung zu wenig.

Gerichtlich festgestellte Schulden zu begleichen ist keine Selbstreinigung, sondern eine Selbstverständlichkeit. Auf der anderen Seite wäre es vor Abschluss der Ermittlungsverfahren wohl zu viel verlangt, wenn ein Auftraggeber vom Bieter bereits eine Ersatzzahlung fordert. Immerhin steht zu diesem Zeitpunkt unter Umständen noch nicht präzise fest, welche Projekte in welcher Form von den Absprachen betroffen waren.

Als Mindestmaß einer Selbstreinigung werden die Auftraggeber ein aktives Bemühen der Baufirmen um Klärung erwarten können, ob dem Auftraggeber ein Schaden zugefügt wurde, sowie eine Zusage, den Schaden zu ersetzen. Eine Strategie der "Betonverteidigung" gegen Schadenersatzansprüche wäre bei Baufirmen, die innerhalb der "vergaberechtlichen Verjährungsfrist" (drei Jahre) öffentliche Aufträge erhalten wollen, fehl am Platz.

Die Baufirmen sind somit gut beraten, sich schon jetzt konkrete Gedanken über Ausgleichszahlungen an vermutlich Geschädigte zu machen. Einen zusätzlichen Anreiz dafür bietet § 30 Abs 3 Z 4 Kartellgesetz, wonach es als Milderungsgrund gilt, wenn ein Unternehmen den aus der Rechtsverletzung entstandenen Schaden ganz oder teilweise gutgemacht hat. (Johannes Stalzer, Franz Urlesberger, Hanno Wollmann, 4.3.2021)

This article was first published on DerStandard, 04.03.2021
authors: Johannes Stalzer, Franz Urlesberger, Hanno Wollmann