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28 October 2021
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Damit es beim Klimaschutz schneller geht

Österreichs Klimaziele können nur mit Milliardeninvestitionen erreicht werden. Doch dafür müssten die Verfahren deutlich beschleunigt werden

Die Politik hat sich ehrgeizige Klimaschutzziele gesetzt. Bis 2030 soll Strom zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen erzeugt werden. Dafür sollen bis 2030 erneuerbare Erzeugungskapazitäten im Ausmaß von 27 Terrawattstunden (TWh) geschaffen, das heißt die gesamte bestehende Stromerzeugung in nur neun Jahren um mehr als 35 Prozent erhöht werden, davon elf TWh aus Photovoltaik, zehn TWh aus Windkraft, fünf TWh aus Wasserkraft und eine TWh aus Biomasse.

Die Zahl der Windkraftanlagen müsste sich gegenüber heute bis zum Jahr 2030 in etwa verdoppeln, jährlich müssten 120 hinzukommen. Bei der Photovoltaik sind auch größere Freiflächenanlagen unausweichlich. Die zusätzlich erforderlichen fünf TWh Wasserkraft entsprechen fünf Donaukraftwerken Freudenau oder 60 Murkraftwerken Graz.

Erzeugungsanlagen alleine genügen nicht. Es braucht neue Hochspannungsleitungen, um den Strom dorthin zu bringen, wo er gebraucht wird. Da immer so viel Strom in das Netz eingespeist werden muss, wie gerade verbraucht wird, und die Netzfrequenz immer circa 50 Hertz betragen muss, müssen die Speicherkapazitäten ausgebaut werden.

Speicherkraftwerke werden benötigt

Da die Stromerzeugung aus Wind- und Sonnenkraft volatil ist – es weht nicht immer Wind und es scheint nicht immer die Sonne – und zugleich europaweit konstant einspeisende Kohle- und Atomkraftwerke vom Netz genommen werden, steigt der Bedarf nach Speichern und nach Regelenergie überproportional. Zusätzliche Pumpspeicherkraftwerke sind für die Energiewende unausweichlich, ohne Ausbau von Netzen und Speichern droht ein Blackout.

So weit die Ziele bis 2030. Doch das ist nur der Beginn, denn bis 2040 soll Klimaneutralität erreicht werden. Wenn man bedenkt, dass der Energiebedarf aktuell nur zu circa einem Drittel aus Strom gedeckt wird und die restlichen zwei Drittel aus fossilen Energieträgern stammen, kann man ermessen, welche Herkulesaufgabe ab 2030 vor uns steht.

Zum Scheitern verurteilt

Es ist schon heute klar, dass die Ziele bis 2030 nicht erreicht werden können. Dazu fehlen die Projekte, und dafür dauern die Genehmigungsverfahren viel zu lang.

Wir befassen uns zu sehr mit dem Aufzeigen von Problemen statt mit der Problemlösung. Wir denken zu sehr in "Verbotskategorien" statt in "Umsetzungskategorien". Es genügt nicht, Ziele zu verkünden, man muss auch die gesetzlichen Grundlagen zur Umsetzung der Projekte schaffen.

Fast alle für die Energiewende erforderlichen Projekte bedürfen einer Umweltverträglichkeitsprüfung. Dass diese Genehmigungsverfahren zu lange dauern, ist allseits bekannt. Die 380-Kilovolt-Salzburg-Leitung und Speicherkraftwerksprojekte mit Verfahrensdauern von sieben bis zehn Jahren sind nur die Spitze des Eisbergs, auch Windkraftverfahren dauern mittlerweile bis zu vier Jahre.

Verfahrensbeschleunigung ein Muss

Ohne deutliche Beschleunigung der Genehmigungsverfahren sind die Klimaschutzziele reine Makulatur. Dabei gibt es zahlreiche Möglichkeiten, die Qualität und das Tempo der Verfahren deutlich zu erhöhen. Man muss sie nur umsetzen.

Wenn – wie derzeit – jeder jederzeit Neues vorbringen kann, so lädt dies geradezu zu missbräuchlicher Verfahrensverzögerung ein. Es ist für manche Projektgegner Usus geworden, inhaltliche Vorbringen aus taktischen Gründen zurückzuhalten und erst unmittelbar vor Schluss des Verfahrens ein neues Thema aufzubringen und dazu einen weiteren Sachverständigen zu beantragen. Das hilft der Umwelt und dem Klima nicht, sondern dient nur der Verfahrensverzögerung.

Sinnvolle Gliederung

Dieser grundlegende Mangel des Verfahrensrechts gehört behoben. Der Gesetzgeber muss der Behörde Instrumente an die Hand geben, das Verfahren sinnvoll zu gliedern.

Eine sinnvolle Gliederung würde wie folgt aussehen: Die Einreichunterlagen werden öffentlich aufgelegt, dazu kann jedermann Stellung nehmen und Einwendungen erheben. Dann sollen die Behördensachverständigen ihre Gutachten ungestört erstatten. Zu diesen Gutachten können alle Verfahrensparteien binnen bestimmter Frist Stellung nehmen. Sodann findet eine mündliche Verhandlung statt, in der noch offene Fragen erörtert werden können. Gegen den Bescheid kann Beschwerde erhoben werden; ein späteres Nachschieben von weiteren Beschwerdegründen ist unzulässig. Ebenso ist es unzulässig, außerhalb der von Gesetz, Behörde oder Gericht festgesetzten Frist ein Vorbringen zu erstatten. Ein solches klar strukturiertes Verfahren würde Verfahren enorm beschleunigen, ohne dass irgendeine Qualität verloren ginge, ganz im Gegenteil.

Anachronismus beseitigen

Parallel dazu könnte an zahlreichen Schrauben gedreht werden. Nur beispielsweise: Die sogenannte Ediktalsperre ist ein Anachronismus, der beseitigt gehört. Warum soll ein Edikt, zum Beispiel die Ladung zu einer Verhandlung im Oktober, im Juli und August nicht veröffentlicht werden dürfen? Hier hat der Gesetzgeber das Internetzeitalter verschlafen.

Das gesamte Verfahren gehört an das digitale Zeitalter angepasst. So sollten alle Kundmachungen auf einer zentralen digitalen Plattform erfolgen, Sachverständige per Video zugeschaltet werden dürfen.

Die Verfahrensförderungspflicht (Vorbringen ist so rechtzeitig und vollständig zu erstatten, dass das Verfahren möglichst rasch durchgeführt werden kann) ist im Verwaltungsverfahren bislang völlig zahnlos. Sie gehört um eine angemessene Kostentragung bei Verstößen ergänzt.

Kein späterer Stand der Technik

Dass der Stand der Technik im Verfahren bis zum Schluss der mündlichen Verhandlung nachgezogen werden muss, was wiederholte Ergänzungen der Einreichunterlagen und der Gutachten zur Folge hat und bei umfangreichen Verfahren zu großen Verzögerungen führt, hat ebenfalls keinen Sinn. Es sollte auf den Zeitpunkt der Antragstellung – oder der öffentlichen Auflage der Einreichunterlagen – abgestellt werden, denn es ist denkunmöglich, dass der Projektwerber oder die Prüfgutachter der Behörde einen späteren Stand der Technik berücksichtigen konnten.

Die Liste der Optimierungsmöglichkeiten ließe sich noch lange fortsetzen. Stattdessen sei auf einen anderen wesentlichen Aspekt hingewiesen, den sich kaum jemand auszusprechen getraut.

Inhaltliche Vorgaben gefordert

Pikanterweise werden zunehmend auch Projekte, die für das Erreichen der Klimaschutzziele so dringend erforderlich sind, von ebenjenen Umweltorganisationen verzögert oder verhindert, die zugleich darauf drängen, dass mehr für den Klimaschutz getan werden soll. Dies ist auch nicht verwunderlich, denn jedes noch so "grüne" Projekt hat auch nachteilige Umweltauswirkungen. Windräder beeinträchtigen das Landschaftsbild und gefährden Vögel; Wasserkraftwerke beeinträchtigen die Gewässerökologie. Man muss sich also letztlich entscheiden, welche Interessen höher wiegen: jene an der Projektumsetzung oder jene am Umweltschutz.

Letztlich kommt man um inhaltliche Vorgaben und Entscheidungen nicht umhin. In einem demokratischen Rechtsstaat sollten diese Vorgaben so weit wie möglich vom Gesetzgeber kommen. Klare gesetzliche Vorgaben sind wesentlich, um Investitionen in die richtige Richtung zu lenken. Unklare Regelungen – wie zum Beispiel eine kaum prognostizierbare Interessenabwägung ganz am Ende eines aufwendigen Verfahrens – bewirken das Gegenteil.

Keine Rolle für Landschaftsbild

Um ein Beispiel zu geben: Es ergibt keinen Sinn, im Genehmigungsverfahren für Windparks das Landschaftsbild zu prüfen und ganz am Ende des aufwendigen Verfahrens eine Interessenabwägung mit unbestimmtem Ausgang vorzunehmen. Denn es ist selbstverständlich, dass 250 Meter hohe Windräder das Landschaftsbild beeinträchtigen. Dies wurde bereits im Rahmen der strategischen Umweltprüfung sowohl für die überörtliche als auch für die örtliche Raumplanung geprüft. Der Gesetzgeber könnte klarstellen, dass das Landschaftsbild – von engen Ausnahmen abgesehen – im Genehmigungsverfahren keine Bedeutung mehr hat.

Damit schließt sich der Kreis: Wir müssen weg vom alten "Verbotsdenken" und hin zu einem neuen "Umsetzungsdenken". Ohne dieses können die Klimaschutzziele nicht erreicht werden. (Christian Schmelz, 28.10.2021)

Christian Schmelz ist Partner bei Schönherr Rechtsanwälte. Er ist unter anderem auf öffentliches Recht und Umweltrecht spezialisiert.

Article was first published in Der Standard on 28.10.2021
authors: Christian Schmelz

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