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16 May 2022
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EU-Sanktionen gegen Russland kommen öffentlichen Auftraggebern teuer zu stehen

Seit 9. April gilt das mit der Verordnung (EU) 2022/576 erlassene 5. Sanktionen-Paket gegen Russland. Erstmals werden damit auch öffentliche Auftraggeber unmittelbar in die Pflicht genommen.

Die Folgen und Kosten für öffentliche Auftraggeber sind weitreichend:

Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbot

Durch die Sanktionen werden Unternehmen mit einem Russland-Bezug von öffentlichen Auftragsvergaben und der öffentlichen Aufträgen vollständig abgekoppelt und ausgeschlossen. Konkret ist es

  • seit 09.04.2022 untersagt, den Zuschlag in laufenden Vergabeverfahren an Unternehmen zu erteilen, die einen Bezug zu Russland aufweisen oder deren Subunternehmer / Lieferanten mit einen Russlandbezug, gemessen am Auftragswert zu über 10 %, am konkreten Auftrag beteiligt sind (Zuschlagsverbot) sowie
  • ab 11.10.2022 untersagt, bestehende Verträge / Aufträge mit Unternehmen, die selbst einen Russlandbezug aufweisen oder deren Subunternehmer / Lieferanten, die einen Russlandbezug aufweisen, gemessen am Auftragswert zu über 10 %, am konkreten Auftrag beteiligt sind (Zuschlagsverbot) zu erfüllen (Vertragserfüllungsverbot).

Anknüpfungspunkt: Russland-Bezug

Die Sanktionen richten sich gegen sämtliche Bieter und Auftragnehmer mit Russland-Bezug, dh

  • russische Staatsangehörige oder in Russland niedergelassene natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen,
  • juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, deren Anteile zu über 50 % unmittelbar oder mittelbar von einer der oben genannten Organisationen gehalten werden, oder
  • natürliche oder juristische Personen, Organisationen oder Einrichtungen, die im Namen oder auf Anweisung einer der oben genannten Organisationen handeln.

Darüber hinaus gilt das Verbot auch für Aufträge oder Verträge, an denen Subunternehmer und Lieferanten mit Russland Bezug zu über 10 % (gemessen am Auftragswert) an dem konkreten Vertrag beteiligt sind.

Betroffene Auftraggeber und Vergabeverfahren

Die vergaberechtlichen Sanktionen (Zuschlagsverbot und Vertragserfüllungsverbot) sind unmittelbar anwendbar und gelten für öffentliche Aufträge oder Konzessionen, die in den Anwendungsbereich der Richtlinien über die öffentliche Auftragsvergabe fallen. Betroffen sind daher

  • Vergabeverfahren und die Abwicklung von öffentlichen Aufträgen und Konzessionen von öffentlichen Auftraggebern im Oberschwellenbereich
  • Vergabeverfahren und die Abwicklung von Aufträgen und Konzessionen von öffentlichen Sektorenauftraggebern im Oberschwellenbereich
  • Vergabeverfahren und die Abwicklung von Aufträgen und Konzessionen von öffentlichen Unternehmen im Oberschwellenbereich, soweit diese zur Durchführung einer Sektorentätigkeit dienen.

Zu beachten ist dabei, dass die Sanktionen auch für zahlreiche Leistungen gelten, die vom Anwendungsbereich des BVergG ausgeschlossen sind, wie etwa Rechtsberatungsleistungen, Kredite, oder der Erwerb von Grundstücken und oder vorhandenen Gebäuden.

E contrario gilt das Sanktionen-Paket nicht für Aufträge / Konzessionen im Unterschwellenbereich oder Aufträge / Konzessionen von öffentlichen Unternehmen, die nicht zur Durchführung einer Sektorentätigkeit dienen.

Zahlreiche Ausnahmen

Das 5. Sanktionen-Paket sieht zahlreiche praxisrelevante Ausnahmen vor, in denen das oben genannte Zuschlags- und Vertragserfüllungsverbot im Einzelfall durchbrochen werden kann. Betroffen sind unter anderem

  • die Bereitstellung unbedingt notwendiger Güter oder Dienstleistungen, wenn sie ausschließlich oder nur in ausreichender Menge von zuvor 1 genannten Personen bereitgestellt werden können,
  • der Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Erdgas und Erdöl, einschließlich raffinierter Erdölerzeugnisse, sowie von Titan, Aluminium, Kupfer, Nickel, Palladium und Eisenerz aus oder durch Russland in die Union, oder
  • den Kauf, die Einfuhr oder die Beförderung von Kohle und anderen festen fossile Brennstoffen

Handlungsempfehlungen für die Beschaffungspraxis

Einholung von maßgeschneiderten Eigenerklärungen von sämtlichen Bietern, Bewerbern und Auftragnehmern

Öffentliche Auftraggeber und Sektorenauftraggeber haben unverzüglich durch geeignete Maßnahmen sicherzustellen, dass in laufenden Vergabeverfahren kein Zuschlag an ein Unternehmen mit Russlandbezug oder ein Angebot, an dem Subunternehmer oder Lieferanten mit Russlandbezug zu über 10 % beteiligt sind, erfolgt.

  • Für zukünftigen Vergabeverfahren sollten daher entsprechende Festlegungen in den Ausschreibungsunterlagen zum Verbot der Teilnahme von Bewerbern, Bietern, Subunternehmern und Lieferanten mit Russlandbezug aufgenommen werden.
  • In laufenden Vergabeverfahren sind unverzüglich entsprechende Eigenerklärungen einzuholen, dass weder beim Bieter noch bei Subunternehmen / Lieferanten ein einsprechender Russlandbezug besteht. Achtung: Da die Sanktionen auch reine Lieferanten und damit vergaberechtlich nicht zwingend zu nennende Hilfsunternehmen erfassen, sind die Eigenerklärungen entsprechend weit zu fassen.
  • Darüber hinaus müssen sämtliche Bestandauftragnehmer und Lieferanten hinsichtlich eines möglichen Russlandbezugs geprüft werden. Auch von bestehenden Auftragnehmern und deren Subunternehmern / Lieferanten sind daher entsprechende Eigenerklärungen einzufordern.

Ausschuss von Unternehmen, Kündigung von Verträgen, Austausch von Subunternehmern / Lieferanten

  • Bewerber / Bieter mit Russlandbezug sind von aktuellen und zukünftigen Vergabeverfahrens auszuschließen. Aufgrund der unmittelbaren Wirkung ist als Rechtsgrundlage die Verordnung (EU) 2022/576 heranzuziehen. Sollte der Russland-Bezug "nur" hinsichtlich eines Lieferanten / Subunternehmers bestehen, ist dem Bewerber / Bieter nach Möglichkeit Gelegenheit zu geben, den Subunternehmer / Lieferanten auszutauschen.
  • Bestehende Verträge mit Auftragnehmern, die einen Russland-Bezug aufweisen sind hingegen unverzüglich – spätestens mit Wirkung zum 11.10.2022 - zu kündigen. Sofern nicht gleichzeitig der Leistungsbedarf des Auftraggebers wegfällt (wovon in aller Regel auszugehen ist), ist damit auch die erforderlich Einleitung und Durchführung eines neuen Vergabeverfahrens verbunden. Besteht "nur" bei einem Subunternehmer oder einem Lieferant eines bestehenden Vertrags ein Russlandbezug, ist dem Auftragnehmer die Möglichkeit zum Austausch des entsprechenden Lieferanten / Subunternehmer einzuräumen. Kommt der Auftragnehmer dieser Verpflichtung nicht nach, ist der Vertrag zu kündigen.

Zulässigkeit von sonstigen Änderungen bei Subunternehmer- / Lieferantenwechsel

Unklar ist, ob öffentlich Aufträge / Konzessionen aus Anlass eines erzwungenen Lieferanten / Subunternehmerwechsels auch weitere Bedingungen des Vertrags ohne Durchführung einer neuerlichen Ausschreibung anpassen können. Während im Rundschreiben des Justizministerium bereits klargestellt wurde, dass die verordnete Vertragskündigung keine Rechtfertigung für einen Austausch des Auftragnehmers ohne neuerliches Vergabeverfahren ist, stellt sich die Frage, ob etwa eine Anpassung der Vergütungsregelungen zulässig ist: Denn im Lichte der aktuellen Wirtschaftsbedingungen wird ein Austausch eines Subunternehmers / Lieferanten kaum ohne einer Erhöhung des Preises möglich sein. Während Entgeltanpassung im Umfang von 10 bzw 15 % und unterhalb der relevanten Schwellenwerte vergaberechtlich grundsätzlich zulässig sind, könnten darüber hinausgehende Änderungen uU durch die Ausnahmebestimmung des § 365 Abs 3 Z6 BVergG gerechtfertigt sein. Ob und welche konkreten Vertragsanpassung zulässig sind, ist naturgemäß stets im Einzelfall zu prüfen.

Kein Schadenersatz

Gemäß Art 11 Abs 1 der (durch die Verordnung (EU) 2022/576 geänderten Fassung d) Verordnung (EU) 833/2014 werden Ansprüche im Zusammenhang mit Verträgen oder Geschäften, deren Erfüllung bzw. Durchführung von den mit dieser Verordnung verhängten Maßnahmen unmittelbar oder mittelbar berührt wird, einschließlich Schadensersatzansprüchen, nicht erfüllt.

Schadensersatzansprüche der Auftragnehmer, die einen Bezug zu Russland aufweisen und mit denen die Vertragsbeziehung beendet worden ist, sind daher regelmäßig ausgeschlossen.

Drohende Nichtigkeit

Auftraggeber, die die Sanktionen nicht (zeitgerecht) umsetzen, müssen mit erheblichen rechtlichen Konsequenzen rechnen: Insbesondere droht bei einem Verstoß gemäß § 879 Abs 1 ABGB die Nichtigkeit des sanktionswidrig abgeschlossenen oder aufrechterhaltenen Vertrags.

Fazit

Aufgrund des 5. Sanktionen-Pakets ist es öffentlichen Auftraggebern / Sektorenauftraggebern untersagt, Aufträge an Unternehmen mit Russlandbezug zu erteilen. Bestehende Verträge mit entsprechenden Unternehmen müssen spätestens zum 11.10.2022 gekündigt werden. Öffentliche Auftraggeber müssen diese Verpflichtung ernst nehmen und unverzüglich handeln. Bei einem Verstoß droht die Nichtigkeit der betroffenen Verträge. Das Sanktionen-Paket kommt öffentlichen Auftraggebern / Sektorenauftraggebern damit teuer zu stehen: Besonders ins Gewicht fallen nicht nur die Kosten der damit ggf erforderlichen Neuausschreibungen, sondern insbesondere auch die zu erwartenden konjunkturbedingten Preisanpassungen bei einem Lieferanten- / Subunternehmerwechsel.

Johannes
Stalzer

Counsel

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