you are being redirected

You will be redirected to the website of our parent company, Schönherr Rechtsanwälte GmbH: www.schoenherr.eu

22 April 2025
media coverage
austria

Lenient sentence for mockery? Grasser's written judgment is eagerly awaited

This article was first published in Der Standard 21.04.2025

Mildere Strafe wegen Spotts? Schriftliches Grasser-Urteil wird mit Spannung erwartet

Die Reduktion der Strafe begründete der Oberste Gerichtshof unter anderem mit der "öffentlichen Häme", die der Ex-Minister erfahren habe. Bisher war die Rechtsprechung diesbezüglich nicht eindeutig.

Ebenso kontrovers wie die Verurteilung selbst wurde auch die Reduktion der ursprünglich von der Erstinstanz verhängten Strafen gegen den ehemaligen Finanzminister Karl-Heinz Grasser diskutiert. Im Vordergrund stand dabei die Bezugnahme auf die Verfahrensdauer. Juristisch interessanter ist dabei die Berücksichtigung der öffentlichen Diffamierung, schließlich ist ein solcher Milderungsgrund gesetzlich nicht ausdrücklich normiert.

Die schriftliche Ausfertigung des Urteils des Obersten Gerichtshofs (OGH) liegt gegenwärtig noch nicht vor. Medienberichten ist jedoch zu entnehmen, dass die Konfrontation mit Spott und Häme in der Öffentlichkeit einen Milderungsgrund dargestellt hat. OGH-Präsident Georg Kodek präzisierte im ZiB 2-Interview am 25. März, dass der OGH die Unschuldsvermutung zwar nicht durch staatliche Stellen, jedoch aber "durch Diskussionen in Foren, Chats usw. krass verletzt" sah.

Milderungsgrund?

Die Rechtsprechung hat die vorliegende Frage vor dem Hintergrund jenes Milderungsgrundes im Strafgesetzbuch beleuchtet, wonach es einen besonderen Milderungsgrund darstellt, wenn der Täter bzw. die Täterin dadurch betroffen ist, dass er bzw. sie durch die Tat oder als deren Folge gewichtige tatsächliche oder rechtliche Nachteile erlitten hat. Der – scheinbare – Rechtsstandpunkt des OGH ist in einem eigenen Rechtssatz zusammengefasst (RS0130394): Mediale Berichterstattung stellt demnach einen für Angeklagte unvermeidbaren Nachteil dar, der von diesem gesetzlichen Milderungsgrund nicht umfasst sei.

Analysiert man die bisherigen Entscheidungen des OGH genauer, gestaltet sich die Lage jedoch keineswegs so eindeutig. Denn in zwei von ihnen bekundete der OGH durchaus Sympathie für die Argumente, wonach Verurteilte in der normalen Lebensführung eingeschränkt und infolge der Medienberichterstattung stigmatisiert worden und in ihrem sozialen Ansehen gesunken seien (13 Os 142/14b, 13 Os 143/14z). Dem könne "eine gewisse Berechtigung nicht abgesprochen werden."

In den beiden erwähnten Fällen verneinte der OGH das Vorliegen eines Milderungsgrundes schlussendlich allerdings, weil auch die dem Verfahren zugrunde liegenden Vorwürfe eine Rolle spielen. Denn das besondere, sich negativ ausgewirkt habende Aufsehen ist für die Verurteilten dadurch entstanden, dass im Zentrum der Strafverfahren die zweckwidrigen Verwendungen von öffentlichem Geld staatsnaher Unternehmen im hohen Umfang standen. Rechtlich ist diese Ansicht insofern gedeckt, als Verurteilte nur dann in den Genuss einer Strafmilderung kommen sollen, wenn die Tatfolge nicht vorsätzlich herbeigeführt wurde, sondern ungewollt. Jedenfalls wenn eine Straftat im öffentlichen Sektor verübt wurde, lässt sich argumentieren, dass eine verstärkte mediale Berichterstattung ernstlich für möglich gehalten wurde und man sich mit ihr abgefunden hat.

Spezialfall Politiker

Politisch exponierte Personen müssen aufgrund ihrer Funktion einen höheren Grad an Toleranz zeigen. Dies gilt insbesondere dann, wenn sie selbst öffentliche Äußerungen tätigen, die geeignet sind, Kritik auf sich zu ziehen. Der Grundsatz gilt übrigens auch für Privatpersonen und Vereinigungen, sobald sie die politische Bühne betreten.

Es bleibt vor diesem rechtlichen Hintergrund abzuwarten, wie der OGH den zugestandenen Milderungsgrund begründet. Auch wenn grundsätzlich das Bestehen eines Milderungsgrundes im Gesetzeswortlaut und in der -intention Deckung findet: Nicht abzustreiten ist, dass es sich um ein Verfahren und einen Verfahrensbeteiligten von gewichtigem öffentlichem Interesse handelte und auch die ehemalige öffentliche Positionierung des Verurteilten nicht unbemerkt blieb. Die Schwelle für das Bejahen eines Milderungsgrundes ist dementsprechend hoch und wird wohl auch damit in Verbindung stehen, dass die öffentliche Diffamierung aufgrund der Verfahrenslänge besonders lange andauerte.

Dem OGH ist jedenfalls zugutezuhalten, dass er sich der Entwicklung im Zusammenhang mit "sozialen Medien" nicht verschließt und den Milderungsgrund entsprechend präzisiert. Sympathie hin oder her, und auch wenn die soziale Sanktionierung von beschuldigten und verurteilten Personen nichts Neues ist: Die mittels technologischer Entwicklung ermöglichte kollektive, öffentliche sowie sofortige und zugleich dauerhafte Verspottung, Beschimpfung und Diffamierung von – bis zum Abschluss des Strafverfahrens unschuldigen – natürlichen und juristischen Personen hat ein Ausmaß erreicht, dem entsprechend Rechnung zu tragen ist. Derartige "Kollateralschäden" dürfen nicht einfach ausgeblendet werden. 

(Oliver M. Loksa, Der Standard, 21.4.2025)

Oliver Michael
Loksa

Counsel

austria vienna